Während des Konzerts, zwischen den Stücken, klatschen die Zuschauer rhythmisch. Ich auch. Dabei frage ich mich schon, ob das die adäquate Form der Beifallsbekundung für das ist, was ich hier höre, was in jede Faser meines Körpers hineingeblasen und -getrommelt wird. Sollte ich nicht – zum Beispiel - die Hände ruckartig vertikal bewegen und in die entstandene Lücke pusten? Wir, die Zuschauer, klatschen aber weiter wie auf jedem anderen Event. Kein Entkommen. Die Künstler aber reagieren ungerührt, trinken einen Schluck Wasser, bereiten ihre Instrumente auf das nächste Stück vor. Und legen wieder los.

Auf der Bühne des Kölner Loft stehen Steve Noble und Peter Brötzmann. Noble, der englische Drummer, sitzt an einem relativ spartanischen Schlagzeug, verglichen jedenfalls mit den Ungeheuern moderner Rock-Formationen. Fünf Trommeln und vier High-Hats zähle ich. Zwischendurch setzt er Klangschalen ein, treibt den Stick um das Metall der Drums oder traktiert sein Instrument gleich mit den Händen. Dabei kontrastiert Nobles unbewegtes Gesicht sein exaltiertes Spiel.

Den anderen kennt man etwas besser. Peter Brötzmann ist ein einer der großen deutschen Freejazzer. Sein brachialer Sound und der Bruch mit allen musikalischen Traditionen haben ihn bekannt werden lassen. "Musik, die dich buchstäblich mit Hass auflädt", zitiert der Spiegel den Gitarristen Attila Zoller. "Ich möchte alles kurz und klein schlagen, wenn ich eine Weile Brötzmann gehört habe." Ein roter Vorhang, davor drei schmale schwarze Stellwände, ein bestuhlter Konzert-Raum, der viel früher für die industrielle Nutzung gedacht war... Auftritt des großen schmalen englische Drummer und von Brötzmann, einem älteren Herrn mit einem großen Saxophon. Brötzmanns Kopf meine ich anzusehen, dass er seit Jahrzehnten in Instrumente bläst und sich seine Form schon dieser Tätigkeit angepasst hat. Los gehts.

Anfangs grummelt es im Magen. Die Lautstärke und die trockene Performance, das Fehlen gewohnter musikalischer Spannungsbögen, das alles ist gewöhnungsbedürftig. Es dauert ein Weilchen. Dann kommen die Bilder. Keine Schrebergärten mehr, endlich. Hier ist man in einem Dschungel gelandet, einem Dschungel, in dem sich alles bewegt. Oder in einem Weltall voller Satellitenschrott... Zusammen scheinen die beiden Musiker nur manchmal zu spielen, meistens ist Bewegung in ihrer Kommunikation, oft spielen sie auch solo nebeneinander. Das Uhrwerk vorproduzierter Popmusik ist meilenweit entfernt. Es wird beinahe durchgängig gegen Melodie und Rhythmus gespielt. Es wird auch beinahe durchgängig gegen die Musik gespielt, die gegen Melodie und Rhythmus spielt. Nur zwischendurch Fetzen von klassischen Jazz, in die unpassende Töne eingewoben sind. Der Sound ist eigenwillig und rauh. Er entzündet die Feuer in der eigenen, vollgequatschten Rübe. Der Trip dauert eine Stunde. Er endet mit ein paar angedeuteten Verbeugungen und knapper Herzlichkeit. „Ja, wir wollten sehen, ob ihr heute kommt", sagt Brötzmann und schweigt einen Moment, „das war auch alles, was wir wissen wollten." Die Musiker verschwinden und lassen uns mit unseren durchgewalkten Hirnen zurück. Das Konzert wird stundenlang im Kopf nachwirken.

„Experimentelle Musik lernt man erst live wirklich kennen.“, hatte mir ein entfernter Bekannter vor dem Konzert gesagt, den ich zufällig im Loft getroffen hatte. Das kann ich jetzt, nach dem Konzert, nur bestätigen. Noch vor zehn Jahren wäre es mir schwer gefallen, das Gehörte überhaupt unter Musik zu subsumieren. Aber inmitten des täglichen musikalischen Fertigfutters ist das Konzert betäubend und erhellend, fesselnd und befreiend.

„Wegen ungünstiger Witterung fand die deutsche Revolution in der Musik statt“, sagte Kurt Tucholsky. Auch die Möglichkeiten von Musik scheinen lange noch nicht ausformuliert zu sein. Es wird ihr wohl nicht zugestanden. Aus kommerziellen Gründen, wie ich vermute.

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