Eine Naturkulturlandschaft wie in Stein gemeißelt. Mittendrin, hineingeklotzt, als hätte es immer dort gestanden, ein überwältigend wirkendes Gebäude. Alles sieht nach Natur aus. Aber in diesem riesigen Garten hat der Mensch das Sagen.

Wir werden Zeuge einer Ansprache. Der Direktor im Eliteinternat Welton begrüsst die Schüler zum neuen Schuljahr. Den Schülern (vielmehr: den anwesenden Eltern) wird eine umfassende Ausbildung garantiert, auf deren Basis sie (jetzt aber: die Schüler) eine Eliteuniversität besuchen können. Die Karriere scheint nach dem erfolgreichen Besuch dieser Schule garantiert. Tradition, Ehre, Disziplin, Leistung.: dieser einfache Wertekanon soll die Schüler auf den richtigen Kurs bringen. Zeitlosigkeit macht sich breit. Schaut man das Gesicht des Direktors, dann ahnt man, daß man hier viele Facetten von Unerbittlichkeit kennen lernen wird. Der neue Englischlehrer wird vorgestellt: John Keating. Wir schreiben das Jahr 1956.

Die Erwartungen werden nicht enttäuscht. Der Unterricht ist eine langweilige Lernmühle. Zu bewältigen ist der umfangreiche Stoff nur, weil die Schüler sich in Lerngruppen organisieren. Knox Overstreet, Charles Dalton (Gale Hansen), Neill Perry (Robert Sean Leonhard), Todd Andersen (Ethan Hawke), Stephen Meeks, Gerard Pitts, Richard Cameron sind erst siebzehn, haben aber nur noch wenig Flausen im Kopf. Ihre Zukunft scheint vorbestimmt, die an sie geknüpften Erwartungen haben sie längst akzeptiert. Fatalismus würde man es heute nennen, wenn es reflektiert wäre. Nur im stillen Kämmerlein, wenn sie unter sich sind, dann regt sich der Widerspruchsgeist gegen “Höllten”, ein Ventil für die angestauten Frustrationen angesichts der täglichen Bücherwälzerei.

Pfeifend betritt Mr. Keating (Robin Williams) er die Klasse, pfeifend verläßt er sie wieder und führt die Schüler zu den Bildern voran gegangener Schülergenerationen. Er läßt Pitts folgende ketzerische Verse lesen:

Pflückt Rosenknospen, solange es geht

die Zeit sehr schnell Euch enteilt

die gleiche Blume, die heute noch steht

ist morgen dem Tode geweiht.

Das ist nicht mißzuverstehen. Es gilt, die eigene Lebenszeit zu nutzen, denn “Diese Jungs dienen jetzt den Narzissen als Dünger.”, wie Keating es ausdrückt. Verblüfft müssen die Schüler ihre Individualität und ihre Endlichkeit zur Kenntnis nehmen. Für einen Augenblick erwachen sie aus ihrem metaphysischen Schlummer.

Zunächst aber sind sie orientierungslos. Neill treibt ein altes Jahrbuch auf, in dem Keating Mitglied der “Dead Poets Society” aufgeführt wird, eine Vereinigung von Schülern, die sich nachts Literatur vorgelesen haben, die großen amerikanischen Dichter, aber auch eigene Verse. Neill überredet die anderen, den Club wiederzubeleben.

In der Nacht gehts los. In weite Mäntel eingehüllt laufen die Jungs zu einer Höhle im Wald, zu einem anderen Ort, in eine andere Zeit, in eine andere Realität hinein. Ihr Erwachen beginnt. Inspiriert von den großen amerikanischen Dichtern, entwickeln sie eigene Rituale, zelebrieren sie einen anderen Lebensrhythmus, stoßen sie vor zu eigenen Mythen,  formulieren eigene Interessen. Eine kleine Gegenwelt zu Welton entsteht. Knox umwirbt ein angebetetes Mädchen, Neill findet zur Schauspielerei, Charlie beginnt auf dem Saxophon free jazz zu spielen und lädt Mädchen in die Höhle ein. Keating setzt ihre Erziehung zum selbstständigen Denken konsequent fort. Sogar der schüchterne und sensible Todd wird von ihm dazu gebracht, sich in Versen zu artikulieren.

So schön und so pathetisch die Geschichte ist, irgendwann begann es in meinem Magen zu grummeln, denn Keatings Sätze hörte ich nicht gerade das erste Mal. „Mache etwas Außergewöhnliches aus Deinem Leben”, “Finde Dich selbst”, “Liebe ist wunderschön”, “Vorsicht vor Konformität”, “Bleib Dir selber treu”. Von Musik befeuert, hatte auch ich als siebzehnjähriger  geglaubt, das Leben neu zu erfinden zu müssen. Erst nachdem ich gemerkt hatte, daß mir in Form von beliebigen Bands und Jugendkulturen eben diese Sprüche - in leichten Variationen - verhökert worden waren, nochmal und nochmal, wurde ich mißtrauisch. Hatte mir die Musikindustrie nicht genau das beinahe ein Jahrzehnt lang vorgebetet und sich damit dumm und dusselig verdient? Und hatte sich genau dieses eingängige Lebensgefühl in der sperrigen Realität nicht als untauglich erwiesen? Älter werden hat auch seine Vorteile – man lernt seine Pappenheimer kennen.

Eines Tages veröffentlicht Charlie in der Schülerzeitung einen Artikel, in dem er im Namen des Clubs fordert, Mädchen in die Schule aufzunehmen. Nicht nur das, als die versammelte Schülerschaft deswegen zur Rede gestellt wir, führt er ein fingiertes Telefongespräch mit Gott, der ihm in seinen Forderungen Recht gibt. Die Schulleitung reagiert auf diesen antiautoritären Spaß erwartungsgemäß humorlos. Charlie bezieht Prügel mit einem Rohrstock und wird dazu aufgefordert alle Mitglieder des Clubs der toten Dichter preiszugeben, ansonsten drohe der Schulverweis.

Währenddessen hat Neill die Hauptrolle in einem Theaterstück ergattert. Um dem Widerstand seines Vaters zu entgehen, fälscht er seine Erlaubnis, um die Rolle spielen zu dürfen. Der Schwindel fliegt auf und der Vater erscheint während der Premiere des Theaterstücks. Neill bringt nicht die Courage auf, seinem Vater zu widersprechen, als der ihm ankündigt, ihn auf eine Militärschule zu schicken. Das Drama nimmt seinen Lauf. Der maßlos Enttäuschte bringt sich mit der Pistole des Vaters um.



Die darauf einsetzende Untersuchung nimmt inquisitorische Züge an Die Schüler müssen per Unterschrift beglaubigen, von Keating verführt worden zu sein. Sie beugen sich dem Druck der Schule und ihrer besorgten Eltern. Keating wird entlassen. Doch in einer wunderbar pathetischen Schlußszene steigen die meisten Schüler bei Keatings letzten Besuch auf die Tische und bekennen sich noch einmal zu ihrem Lehrer. Sein Einsatz war nicht umsonst, seine Aufforderung zum freien Denken ist in den Köpfen angekommen.

(…)

Mein Käptn gibt nicht Antwort, seine Lippen sind bleich und still

Mein Vater fühlt nicht meinen Arm, hat nicht mehr Kraft noch Willen,

Das Schiff liegt heil vor Anker nun, die Reise ist nun aus,

Von schwerer Fahrt das Siegerschiff kam im Triumph nach Haus

Jauchzt, Ihr Gestade! Glocken dröhnt!

Ich aber knie in Not,

Wo auf dem Deck mein Käptn liegt,

Gefallen, kalt und tot.


(zitiert nach Walt Whitmann, Grashalme, S.343

dt. Übersetzung von G. Landauer)

Jetzt, vor dem Hintergrund einer autoritären Tradition, die mit Kanonen auf Spatzen schießt, beginnt sich der Zauber des mentalen Aufbruchs im Medium poetischer Sprache zu entfalten und plausibel zu werden. Denn Keating hatte die Schüler keineswegs dazu aufgefordert, die Schule oder den Unterricht offen in Frage zu stellen. Erst die letztlich mimosenhafte Reaktion der Autorität, nicht verstandene Fragen mit überzogenen Sanktionen zu beantworten, ist das Movens für die folgende Entwicklung und gibt den geistigen Befreiungsversuchen der Schüler die Romantik, die der kommerziellen Ausbeutung jugendlicher Sinnsuche à la MTV – mitlerweile durch die Videoplattformen abgelöst - abhanden gekommen ist.

Die historische Parallele ist leicht zu fassen. Es werden die gleichen Schüler sein, die einige Jahre später als Studenten in Berkley, inspiriert von Literatur, bildender Kunst und Musik (und Drogen) eine Revolte lostreten werden, die die Welt, vor allem sie selbst, verändern wird. Zielgerichtet und mit der notwendigen Portion Engstirnigkeit werden schon längst hinfällige Tradionen angegriffen, die Lügen der vorherigen Generation gelüftet und ausgelacht. Jugendkulturen entstehen. In der Folge formieren sich unzählige Gruppen, die einen gesellschaftlichen Aufbruch in Gang setzen. Mit dem festen Willen zur Veränderung beginnt der “Marsch durch die Institutionen”. (Die erfolgreichste Plattform von Gesellschaftskritikern aller Coleur waren hierzulande wohl die „Die Grünen”, die es bereits 1983, drei Jahre nach ihrer Gründung, in den Bundestag schafften.) Dabei tat sich eine Menge: wenn es auch nicht zur Revolution reichte, so hat sich doch viel verändert. Die autoritäre Tradition wurde erfolgreich beseitigt, die Demokratisierung vorangetrieben, die freie Meinungsäußerung eine Normalität. Alles tuffi also?

Natürlich - das Leben ist heute freier, angenehmer, als es noch in den Zeiten zwingender Autorität und Autoritätshörigkeit war. Dennoch wurde ich nie den Eindruck los, daß sich in den neunziger Jahren – der Film ist von 1989 - ein nicht mehr so leicht erkennbarer, aber ebenso straffer Wertekanon etabliert hat. Anstelle des Zwangs, sich in das Korsett einer autoritären Tradition einschnüren zu lassen, war der biographische Druck getreten, der immer präsente Zwang einen ordentlichen Lebenslauf vorweisen zu können, der in jedem Vorstellungsgespräch anhand eines detaillierten Dossiers nachgewiesen werden musste – und muss. Ansonsten droht der in vielen Fällen ungerechtfertigte Ausschluß.

Damit wird es für die Meisten schon Aufgabe genug, etwas Normales aus ihrem Leben zu machen, das von Keating geforderte Außergewöhnliche ist längst passé, Kompetenz und Engagement hin oder her. Biographische Kohärenz, Disziplin, Leistung, Effizienz, wirtschaftlicher Erfolg: dieser scharf ins Leben des Einzelnen eingreifende neue Wertekanon scheint die individuelle Freiheit für viele aufs Neue zu ersticken/zur Farce werden zu lassen. Anders ausgedrückt: was die Verantwortung für die eigene Biographie anbelangt, hatten sich Privatisierung und Dezentralisierung schon längst durchgesetzt, lange bevor er Forderung einer liberalen Wirtschaftspolitik geworden waren. Jeder kann etwas werden, natürlich. Aber nicht alle. Das sollte uns hellhörig werden lassen. Es wäre sicher einen Versuch wert, die Klassiker zum Beispiel auf ihren Freiheitsbegriff abzuklopfen.

Zu negativ? Nein, ich bin weit davon entfernt, alles schlecht reden zu wollen. Ich hänge mich zu weit aus dem Fenster? Nachdenken wird noch erlaubt sein. Das hat alles nur noch wenig mit dem Film zu tun? Na gut. Deswegen jetzt das Fazit.

Der “Club der toten Dichter” aber ist ein schöner, schwer pathetischer – das muss man mögen- , aber gut inszenierter Film, der in Form eines Dramas noch einmal das Erwachen einer ganzen Generation beschwört, ohne die Gefahren der Nonkonformität zu verschweigen. Nach „Garp und wie er die Welt sah“ (Geheimtip) und „Good Morning Vietnam!“ erweckt Robin Williams mit seiner Energie und seinem Improvisationsvermögen auch hier einen nicht einfachen Stoff mit zum Leben. An seinem Keating habe ich mich als junger Mann begeistert und gerieben. Aber auch die jungen Schauspieler haben mir durch die Bank gut gefallen.

Ein großes Wort, ein hartes Wort, Freiheit. Ist sie durchgesetzt, muß auch sie erstmal aus- und durchgehalten werden.

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In Erinnerung an Robin Williams

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