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Großväter im Ersten Weltkrieg an der Westfront

(Reportage von Björn Krombusch, erstellt im Texter-Workshop an der VHS Köln)

Du kennst das berühmte „Info@„-Postfach? Manchmal wirft dort jemand wirklich spannende Anfragen hinein. So wie im Frühjahr, als Willi S. in unserem Krankenhaus nach Informationen über seinen vor 100 Jahren an der Westfront verwundeten Großvater fragte. Willi S. hat sich  nämlich für seinen Ruhestand ein großes Projekt vorgenommen. Er möchte im Gedenkjahr des Ersten Weltkriegs die Spur seines verschollenen Ahnen verfolgen und damit das fehlende Stück seiner eigene Lebenslinie schließen. Bei den Recherchen stieß Willi S. auf einen Zeitungsartikel aus dem Archiv des Westfälischen Volksblatts von 1914, in dem das „Agathe Kloster“ in Köln als Todesort genannt wird. Wie und vor allem warum kommt ein verwundeter Soldat aus Ostwestfalen nach Köln?

Das Krankenhaus-Archiv

Nach einhundert Jahren heißt das „Agathe-Kloster“ heute „St. Agatha-Krankenhaus“. Patientenakten müssen in Deutschland aber nach dreißig Jahren vernichtet werden und sonstige Dokumente aus der Zeit des Ersten Weltkriegs besitzen wir auch nicht mehr. Dachte ich.



Doch manchmal kommt der Zufall zu Hilfe. Nach einem heftigen Unwetter steht ein Teil unseres Krankenhausarchivs unter Wasser. Bei den Aufräumarbeiten fällt mein Blick in die hinterste Ecke, auf einen Stapel vergilbter Bücher. Ich ziehe die schweren Schriften vom Stahlregal und befreie die Buchrücken von ihrer Staubschicht. Und was auf dem zweiten Buch zu entziffern ist, verschlägt mir den Atem: „Akten von 1914-1921“

Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, in so einem wertvollen Schatz aus längst vergessener Zeit zu blättern. Ich erinnere mich an diese Anfrage aus Ostwestfalen. Wie heißt noch gleich dieser gesuchte Großvater? Alfred? Albert? Ich suche die E-Mail-Anfrage aus meinem Postfach: Anton! Anton S. Und tatsächlich gibt es im Buch zum November 1914 einen entsprechenden Eintrag!

Beim Papierrestaurator

Die Geschichte hört sich unglaublich an. Warum ist ein Buch nach 100 Jahren noch in so gutem Zustand? Schrieb man damals nicht in Sütterlin- oder Kurrentschrift? Warum lassen sich die Seiten noch so gut umblättern? Ich schnappe mir den schweren Schatz und bringe ihn damit zu einem renomierten Papierrestaurator.

Dort lerne ich einiges über Zellulose-Eigenschaften, Sprungrückenbücher und die im Geschäftsverkehr verwendete Schönschrift. Es stellt sich heraus: Das Buch ist wirklich aus dem Jahr 1914 und nicht nachträglich verfasst worden. Mit diesen Infos nehme ich wieder Kontakt zu Willi S. im Ostwestfälischen auf. Was kann er mir noch über den Weg seines Großvaters erzählen?

Mit dem Fahrrad an die Front

Willi S. fällt bei meiner Mail aus allen Wolken, denn er glaubte schon längst nicht mehr an den Erfolg seiner Suche. Er hatte jedoch herausbekommen: Sein Großvater Anton S. war direkt nach der Mobilmachung 1914 mit dem Zug an die Westgrenze des Deustchen Reiches verbracht worden. Von dort folgte der Fußmarsch hinauf zur Küste: Der sog. „Wettlauf zum Meer.“ Bei brütender Hitze und mit schwerem Gepäck.

Willi S. wollte diesen Weg seines Großvaters nach einem Jahrunhundert im ganz wörtlichen Sinne nachgehen. Doch die alten Straßen gibt es längst nicht mehr. So packte der Unruheständler das Zelt auf sein Fahrrad und fuhr die ganze Strecke bis hoch nach Lille, von wo der letzte Brief des Großvaters kam. Der "Wehrmann Anton S." wurde dort verwundet und in einem Lazarettzug zurück ins Reich gebracht. Aber warum gerade nach Köln?

Die Wacht am Rhein

Köln war 1914 Festungsstadt. Die Metropole am Rhein sollte ein Bollwerk sein im Falle eines französisch-englischen Gegenangriffs. Köln war aber auch Verkehrsknotenpunkt, der westliche Nabel im Netz der Deutschen Reichsbahn. Tausende Kilometer Schienen zogen sich von hier aus durch die Eifel Richtung Westen, heute längst überwachsene Stränge der Geschichte. 
Man rechnete noch bis in den Herbst 1914 mit einem schnellen Sieg über Frankreich, wollte schon Weihnachten wieder zuhause sein. Man war schneller wieder zuhause, als man dachte. Nämlich in den Lazarettzügen, die die Verwundeten von den Schlachtfeldern Flanders und später aus den Schützengräben Verduns in eines der über 50 Kölner Lazarette brachten. So auch den Soldaten Anton S.

Die Kölner Krankenhäuser

Seit Mitte des 19 Jahrhunderts kümmerte sich das Rote Kreuz in Kriegen um die Verwundtenversorgung auf dem Felde. Sie wurden nach der Erstversorgung mit der Eisenbahn zurück nach Deutschland gebracht. In Köln trafen die Verwundetenzüge am Hauptbahnhof ein, von Deutz aus fuhren schon wieder neue Züge los. Die Namen der verletzten Soldaten registrierte das Rote Kreuz im Deichmannhaus am Bahnhofsvorplatz, um die Familien per Post zu informieren. Mit der neuen Straßenbahn wurden die verletzten Soldaten in die umliegenden, meist zu Beginn des 20. Jahrhunderts neu entstandenen Kölner Krankenhäuser gebracht. Und hier, im "Agathe-Kluster", im heutigen St. Agatha Krankenhaus, enden die Spur und nach 21 Tagen auch das Leben von des Soldaten Anton S.

Treffen in Westfalen

Die Geschichte hat nicht nur Willi S., sondern auch mich nicht mehr losgelassen. Anfang August 2014, am Jahrestag des Kriegsbeginns, mache ich mich deshalb selbst mit dem Fahrrad von Köln aus auf den Weg ins Herzen Ostwestfalens. Willi S. lebt dort mit seiner Frau, Tochter und Enkeltochter (3 Wochen alt) noch immer in dem Haus, das sein Großvater Anton S. kurz vor dem Aufmarschbefehl selbst gebaut hatte. Bis spät in die Nacht kramen wir in alten Ordnern und Stammbüchern, blättern durch vergangene und frische Erinnerungen. So viele Kontakte, so viele Freundschaften hat er auf der Reise in seine eigene Vergangenheit geschlossen. Den Franzosen seine Geschichte erzählt, sich dabei auf so manch gutem Rotwein einladen lassen.  Wir haben uns für diesen Abend an die typisch westfälische Variante gehalten: Das gut-gekühlte Siebeneinhalbminutenpils.

Und wann erforscht du deine Geschichte?





Auf der Tour: Blick aus der ostwestfälischen Senne in den Teutoburger Wald

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