(Hi, this is Cologne speaking :-), for the moment in german)

Schon das Titelbild ist ein Brüller. Wie sehen in Großaufnahme Gesicht und Oberkörper eines Karnevalisten. Der nicht mehr ganz junge Mann ist im vollen Ornat eines Karnevalsverein zu sehen. Vor ihm steht ein gerade geleertes Glas Kölsch. Dazu trägt er einen starr abweisenden Gesichtsausdruck und eine Sonnenbrille zur Schau. Coolness meets Narrenkappe. Das passt nicht. Der Schmöker von 1991 bietet viel Lesestoff. 1991 - zu diesem Zeitpunkt war die Stunksitzung auf dem Sprung ins Mülheimer E-Werk.

Das Buch „Zwischen Stunk und Prunk. Ein Klatschmarsch durch die Institutionen.“ ist eine bunte, mitunter widersprüchliche Mischung von Texten rund um die damals sechs Jahre zählende Stunksitzung - ein i-Dötzchen, gemessen an heutigen Maßstäben. Herausgegeber des Buches ist WDR-Redakteur Wolfgang Schmitz. Meistens kommen die Macher der Stunksitzung zur Sprache in Erinnerungen, Interviews, Gesprächen miteinander. Manchmal entfernt sich das Buch aber auch von der direkten Betrachtung seines Gegenstands. Dann geht es zum Beispiel um die Geschichte des Karnevals. Oder um Vorläufer und Vorbilder der Stunksitzung wie den Kabarettisten Wolfgang Neuss oder die anarchistische Berliner Kabarett-Combo „Die Drei Tornados“. Viele Kölner Prominente kommen ebenfalls zu Wort, manchmal ironisch, meistens begeistert. Als Zugabe gibt es noch mit Fotos illustrierte Texte aus den Sitzungen.

Ein kurzer Blick hinter die Kulissen. Wie wurde aus dem Projekt Stunksitzung das Produkt Stunksitzung? Begonnen hatte alles Anfang der achtziger Jahre an der Fachhochschule Köln. Die Welt war aufgeteilt in einen kommunistischen und einen kapitalistischen Block. Es war die Zeit des Kalten Krieges, eine Zeit der klaren Feinbilder. Nach einem Protest gegen die Streichung von Mitteln der Fachhochschule fanden sich einige Studenten zusammen, die ein links-alternatives Lebensgefühl einte, die Idee einer herrschaftsfreien Gesellschaft. „Links von der DKP, Sympathien mit Hausbesetzern, Autonomen und Anarchos, Teil der Alternativbewegung; Sehr viel genauer hätten wir unseren politischen Standpunkt am Anfang nicht definieren können.“

Flugs wurde ein Kinderzirkus gegründet, der mit viel Enthusiasmus auf die Straße und an den Mann gebracht wurde. Als sich die Gruppe überlegte, was sie im Winter machen könnte, malte Jürgen Becker irgendwann eine Narrenkappe und einen schwarzen Stern auf eine Karteikarte. Im Winter könnte man doch eine alternative Karnevalssitzung anbieten. Die Idee brauchte einige Zeit, um sich durchzusetzen. Viele der späteren Stunker hatten „mit Karneval nicht das Mindeste am Hut.“. Überraschenderweise scheint der offizielle Karneval als Zielscheibe zu Beginn nur nebenbei interessiert zu haben. „Mit dem Anspruch Gegen-Karneval zu veranstalten, hatte die Stunksitzungsidee zunächst nichts zu tun. (...) „Wir hätten uns auch entscheiden können eine alternative Fahrradwerkstatt aufzumachen (…) Hauptsache zusammen.“ Das gemeinsame politische Engagement war das eigentliche Projekt, die Sitzung Nebensache. Es ging im wesentlichen um die Verwirklichung alternativer Betriebsstrukturen. Kein Chef. Alles wird ausdiskutiert.

Schön, dass auch das Buch viele kurze Gespräche enthält. So erfährt man viel über die Stimmung der damaligen Macher. Einer ging die Sache vollkommen unbeschwert an, ein anderer glaubte erst zwei Jahre proben zu müssen um etwas auf die Beine stellen zu können. Keiner hatte Erfahrung – alle machten mit. Die erste Sitzung fand in der alten Mensa, gleich neben dem Universitätstheater statt. Als Spaßprojekt fand sie für kleines Geld vor Freunden und Bekannten statt. Sich über den damals noch festgefügten, ja fast ideologisch zelebrierten Karneval lustig zu machen und dabei die Sau ordentlich rauszulassen: das schlug sofort ein wie eine Bombe. Und im Nahkampf mit ihrem Publikum machten die Stunker eine wichtige Entdeckung. „So geht Politik auch, nicht als Redekabarett und Kopfveranstaltung, sondern mit unheimlich viel Lust am Feiern. Das war die große Entdeckung. Politik, Feiern und Spaß sind keine Gegensätze. Damals entstand diese besondere Stimmung, die bis heute lebendig ist auf der Bühne und im Saal: Stunksitzung.“ Damit war die Grundlage für ein erfolgreiches Projekt gelegt.

Die Stunksitzung blieb nicht lange ein Geheimtip. Sie wurde ein Publikumsmagnet. Der Umzug in das wesentlich größere E-Werk war Teil der Reaktion auf den entstehenden Professionalisierungsdruck. Denn mehr „verdienen, wird man wegen der höheren Kosten im neuen Saal zwar kaum, doch die verbesserten räumlichen Möglichkeiten versprechen eine noch bessere Show.“ Künftig gab es dann auch einen Regisseur, Massenszenen wurden choreographiert, die Bühnenbilder werden aufwendiger. Vor allem aber veränderte sich die Gruppe zur Zweckgemeinschaft. Statt der Gruppenstrukturen rückten immer mehr „Fragen schauspielerischer Qualität“ in den Vordergrund. Es bildeten sich kleine Arbeitsgruppen, die die einzelnen Nummern erarbeiteten. Alles fokussierte sich auf das nächste gute Programm. Aus dem Projekt Stunksitzung war das Produkt Stunksitzung geworden.

Glaubt man wikipedia, dann fanden allein in der Karnevals-Session 2010/2011 50 Sitzungen mit rund 55.000 Jecken statt. Aus dem i-Dötzchen von 1991 war 20 Jahre später ein gut organisierter Manager geworden. Ob aus der Stunksitzung ebenfalls einmal ein gut geöltes, aber blutleeres Räderwerk alljährlicher Rituale wird – mit dieser Kritik am offiziellen Karneval waren die Stunker einmal angetreten -, das haben die künftigen Macher selber in der Hand. Zum damaligen Zeitpunkt fiel die Bilanz eindeutig positiv aus, denn noch „schwebt der Geist der Anfangszeit (…) über ihnen. Demokratische Entscheidungsformen sind gewahrt worden, einen Chef gibt es immer noch nicht. (…) Zudem hat die Stunksitzung (…) im Kölner Karneval etwas in Bewegung gebracht.“ Der politische Gedanke war nicht ganz verloren gegangen. Jürgen Becker geht schon seit langer Zeit eigene Wege. Er bilanzierte damals: „Wir sind, ob wir es wollen oder nicht, Teil des Karnevals, und der hat wiederum etwas mit dem Zustand der Stadt zu tun (…) Wir mischen mit und das finde ich spannend.“

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Zwischen Stunk und Prunk

Ein Klatschmarsch durch die Institutionen

hrsg. v. Wolfgang Schmitz

Köln: Volksblatt Verlag 1991

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